Wien/Brüssel 30.05.23, Am Donnerstag, 1. Juni, wird das EU-Parlament über seine Position zum EU-Lieferkettengesetz abstimmen. Im Vorfeld bringen Abgeordnete der Europäischen Volkspartei überraschend Abänderungsanträge für massive Aufweichungen ein. Angeführt werden diese Bemühungen von der deutschen CSU- und EVP-Abgeordneten Angelika Niebler. Unterstützung kommt von österreichischen ÖVP-Abgeordneten, wie Angelika Winzig. Die Menschenrechtsorganisation Südwind und Vertreter:innen der Kampagne Menschenrechte brauchen Gesetze, koordiniert vom Netzwerk Soziale Verantwortung (NeSoVe), sehen darin den Versuch die Effektivität des Gesetzes insgesamt auszubremsen.
„Die Abänderungsanträge der EVP sind eine Farce! Anstatt sicherzustellen, dass das EU-Lieferkettengesetz Menschenrechte und Umweltschutz garantiert, arbeiten EU-Abgeordnete der ÖVP und EVP aktiv daran das EU-Lieferkettengesetz zu verwässern und de facto wirkungslos zu machen“, kritisiert Bettina Rosenberger, Koordinatorin der Kampagne Menschenrechte brauchen Gesetze! bei NeSoVe. Der Abstimmung am 1. Juni gingen wochenlange Verhandlungen im Rechtsausschuss (JURI) des EU Parlaments voraus. „Der vorliegende Kompromiss ist trotz verbleibender Schlupflöcher ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Mit dem EU-Lieferkettengesetz gibt es erstmals die Chance, um gegen Menschenrechtsverletzungen entlang globaler Wertschöpfungsketten vorzugehen. Diese historische Möglichkeit darf nicht verspielt werden”, so Bettina Rosenberger.
Weitere Einschränkung des Geltungsbereichs und Rechtszugangs
Die von Teilen der EVP eingebrachten Abänderungsanträge sehen vor, dass das Lieferkettengesetz nur für Unternehmen ab 1.000 Mitarbeiter:innen gelten soll. Die Anzahl der erfassten Unternehmen würde sich damit nochmals deutlich verringern. Zusätzlich soll die Wirkung der Sorgfaltspflichten drastisch eingeschränkt werden und nicht mehr für die gesamte Wertschöpfungskettte gelten, sondern nur entlang der Lieferkette. Für die Bereiche Finanzierung, Marketing und Entsorgung von Produkten würden demnach keine Sorgfaltspflichten gelten.
Teile der EVP fordern zudem getrennte Abstimmungen über alle Fragen bezüglich des Zugangs zum Recht für Betroffene. Dadurch wird die Möglichkeit eröffnet, diese abzulehnen und gänzlich aus der Richtlinie zu entfernen. Wie schwierig es ist, für Betroffene zu Entschädigungen und Kompensationen zu gelangen, zeigte etwa die unzureichende Aufarbeitung des tragischen Einsturzes der Rana Plaza-Textilfabrik 2013, bei dem über 1.100 Menschen ums Leben kamen.
Auch die zivilrechtliche Haftung könnte weiter eingeschränkt werden: nur wer vorsätzlich oder grob fahrlässig gegen die durch die Richtlinie auferlegten Sorgfaltspflichten verstößt und damit Schäden nachweislich verursacht, soll haften. Dies würde zusätzliche Hürden für Betroffene bedeuten.
Untersuchungen aufgrund möglicher Interessenskonflikte
Angeführt werden die Verwässerungsbemühungen von der deutschen EVP-Abgeordneten Angelika Niebler. Nach vorgebrachten Beschwerden gegenüber Niebler aufgrund eines möglichen Interessenskonflikts kündigte das Büro der EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola (EVP) Untersuchungen an. Niebler ist neben ihrer Tätigkeit als Abgeordnete auch Mitglied des Stiftungsrats der TÜV SÜD-Stiftung, Miteigentümerin der TÜV SÜD AG, die Unternehmen Zertifizierungen anbietet. Eines der zertifizierten Projekte war der Brumadinho Staudamm in Brasilien. Nur vier Monate vor dem katastrophalen Dammbruch 2019, bei dem 270 Menschen ums Leben kamen, wurde die Sicherheit von der brasilianischen Tochter von TÜV SÜD bestätigt. Darüber hinaus arbeitet Angelika Niebler für die US-amerikanische Anwaltskanzlei Gibson, Dunn & Crutcher, die große Unternehmenskunden vertritt, unter anderem in Klagen gegen Auswirkungen der Geschäftstätigkeit auf Gemeinden im Globalen Süden.
Südwind: Menschenrechte müssen vor Konzerninteressen gelten
„Das Europäische Parlament ist der Menschenwürde verpflichtet und darf sich nicht von Konzernlobbys treiben lassen. Den dreisten und untragbaren Aufweichversuchen von Teilen der Europäischen Volkspartei muss eine klare Absage erteilt werden“, sagt Stefan Grasgruber-Kerl, Südwind-Experte für faire Lieferketten. „EU-Abgeordnete und Kommission müssen sich für einen seriösen Entwurf einsetzen, der Menschenrechte und nicht Unternehmensinteressen im Fokus hat. Jetzt kurz vor der Abstimmung darf sich die ÖVP nicht vor den Karren einer umstrittenen deutschen Unternehmenslobbyistin spannen lassen. Es braucht endlich ein funktionierendes Regelwerk gegen Menschenrechtsverletzungen in globalen Lieferketten“, appelliert Stefan Grasgruber-Kerl.
Dringende E-Mail-Aktion an die EU-Abgeordneten:
https://www.suedwind.at/handeln/petitionen/eu-lieferkettengesetz/
Foto-Aktion in Wien
Aktivist:innen der Kampagne „Menschenrechte brauchen Gesetze!“ fordern im Zuge einer Aktion am Hafen Freudenau, dass sich EU-Abgeordnete für ein effektives Lieferkettengesetz einsetzen. Mit dabei waren Vertreter.innen von der Dreikönigsaktion, dem WWF Österreich, GLOBAL2000, Jugend eine Welt, Südwind und dem Netzwerk Soziale Verantwortung.
Fotos von der Aktion stehen hier zum Download bereit: https://www.flickr.com/photos/184904131@N04/
Über „Menschenrechte brauchen Gesetze!“:
Die Kampagne Menschenrechte brauchen Gesetze! wird von einem breiten zivilgesellschaftlichen Bündnis getragen und vom Netzwerk Soziale Verantwortung (NeSoVe) koordiniert. Gemeinsam mit über 100 NGOs und Gewerkschaften aus ganz Europa mobilisieren zivilgesellschaftliche Organisationen und Gewerkschaften im Zuge der Kampagne „Gerechtigkeit geht alle an!“(Justice is Everybody’s Business) für ein EU-Lieferkettengesetz, das Menschen- und Arbeitsrechte, die Umwelt und das Klima effektiv schützt.
Rückfragehinweis:
Bettina Rosenberger
Kampagnenkoordinatorin „Menschenrechte brauchen Gesetze!“
Tel.: +43 660 8835409
bettina.rosenberger@nesove.at
c/o Netzwerk Soziale Verantwortung
Vincent Sufiyan
Kommunikationsleitung Südwind
Tel.: 0650 96 77577
E-Mail: vincent.sufiyan@suedwind.at