Missstände in der Elektronikproduktion
Menschenrechtsverletzungen sind im Elektroniksektor weit verbreitet. IT-Unternehmen aus dem Globalen Norden verlagern ihre Produktion systematisch in Länder mit niedrigen Arbeitsrechtsstandards. Dadurch entstehen intransparente Lieferketten, die geprägt sind von ausbeuterischen Verhältnissen.
Eine von Südwind beauftragte Studie gemeinsam mit Electronics Watch bietet einen umfassenden Überblick zu arbeitsrechtlichen Problemen in der Elektronikindustrie. In einigen der weltweit wichtigsten Produktionsländern zeigen sich alarmierende Zustände: Löhne weit unterhalb des jeweiligen Existenzminimums, gesundheitsgefährdende Arbeitsbedingungen und fehlende soziale Absicherung für die Beschäftigten.
Überstundenzwang, Schuldknechtschaft, Kündigungsverbote
Die Fertigung von Elektrogeräten findet zu großen Teilen in asiatischen Ländern statt. Die Daten zur Studie stammen aus Interviews mit Arbeiter:innen, Gewerkschafter:innen und Vertreter:innen von zivilgesellschaftlichen Organisationen. Damit bietet sie wichtige Einblicke in die Realität der Beschäftigten in der Elektronikindustrie und zeigt den enormen Verbesserungsbedarf auf.
- Beschäftigte in China, Taiwan, Vietnam, Philippinen, Indonesien, Thailand und Indien berichteten allesamt von erzwungenen Überstunden sowie mangelhaftem Schutz vor giftigen Chemikalien. Arbeitszeiten von 70 Stunden pro Woche sind eher die Regel als die Ausnahme und die Aufklärung über den sicheren Umgang mit Chemikalien fehlt meist.
- In Thailand und Taiwan ist etwa Schuldknechtschaft ein Problem. Arbeitnehmer:innen aus Nachbarländern sind nach hohen Zahlungen an Vermittleragenturen hochverschuldet oder arbeiten dort ohne Papiere oder nach Abnahme von Reisedokumenten in der ständigen Angst, abgeschoben zu werden.
- Ein besonderes Problem in China und Indonesien sind Zwangspraktika für Studierende in Firmen, die nichts mit ihrer Ausbildung zu tun haben. In China ist die Elektronikproduktion zudem geprägt von Beschränkungen des Kündigungsrechts, Täuschungen über Löhne bis hin zu staatlich verordneter Zwangsarbeit ethnischer Minderheiten.
- In europäischen Produktionsländern wie Polen oder Tschechien werden oft bewusst ausländische Arbeiter:innen mit unsicherem Aufenthaltsstatus eingesetzt, die sich aus diesem Grund schlechter gegen die Arbeitsbedingungen zur Wehr setzen können.
Fallbeispiel Philippinen:
Gewalt gegen Gewerkschaften bei sechs Euro Tageslohn
Wie aus Wohlstandsmüll Verbrechen wird
Illegale Exporte, wachsende Müllberge
Elektroschrott-Recycling in Österreich?
82.400 Tonnen Elektrokleingeräte werden pro Jahr entsorgt
Harte Haltung gegenüber Gewerkschaften
Die Elektronikindustrie ist für ihre harte Haltung und ihre gewerkschaftsfeindlichen Aktivitäten bekannt. Folglich ist nur eine kleine Minderheit der Beschäftigten Mitglied in unabhängigen, demokratischen Gewerkschaften. Noch weniger kommen in den Genuss von Tarifverträgen. Dadurch ist es für Arbeitnehmer:innen schwer, sich gegen Missstände zu wehren und sich für menschenwürdige Arbeitsbedingungen einzusetzen. Elektronikunternehmen haben bewusst verschiedene Strategien angewandt, um die Mitsprache der Arbeitnehmer:innen einzuschränken. Dazu zählen der Umzug in Länder mit schwachen arbeitsrechtlichen Standards, Investitionen in Sonderwirtschaftszonen außerhalb von nationalen Vorschriften bis hin zur Aktiven Unterbindung von Gewerkschaftsgründungen sowie Gewalt gegen die eigenen Beschäftigten.
Öffentliche Beschaffung als wichtiger Hebel
Die lasche Gesetzgebung im Globalen Norden verstärkt die Missstände. Um gegen die Ausbeutung in Ländern des Globalen Südens vorzugehen, braucht es strenge Regeln in den Ländern des Nordens. Dazu zählt ein gesetzliches Regelwerk für verbindliche Sorgfaltspflichten entlang der gesamten Lieferkette und mehr Engagement für nachhaltige Elektronik auf allen Ebenen: von der öffentlichen Beschaffung bis hin zum privaten Konsum müssen Reparierbarkeit, Wiederverwendbarkeit und fachgerechte Entsorgung von Geräten zu Leitprinzipien werden. Gleichzeitig braucht es eine lückenlose Infrastruktur für Sammlung, Aufbereitung, Recycling und Wiederverkauf von Elektrogeräten.
Ein großer Teil der gesamten Elektronik-Produktion wird von öffentlicher Hand eingekauft. Für einen Wandel hin zu fairen Arbeitsbedingungen kann die öffentliche Auftragsvergabe eine wichtige Rolle spielen. Öffentliche Ausschreibungen müssen konkrete Beschaffungskriterien für die Einhaltung von Arbeits- und Menschenrechten entlang der gesamten Lieferkette enthalten. Auch Richtlinien auf EU- und UNO-Ebene unterstützen öffentliche Auftraggeber dabei, solche Kriterien festzuschreiben. Gleichzeitig müssen in den Produktionsstätten seriöse Kontrollen und unabhängige Beschwerdemechanismen vorgeschrieben werden. Bereits über 900 öffentliche Einrichtungen nutzen dafür Electronics Watch, die mit Arbeitsrechtsexpert:innen im Globalen Süden zusammenarbeiten.
Problemfelder der Elektronikindustrie
Die hier angeführten Probleme sind eine Auswahl an häufig beobachteten Missständen, welche durch die Monitoringtätigkeit von Electronics Watch bekannt geworden sind. Electronics Watch untersucht seit 2015 aktiv die Arbeitsbedingungen in den Lieferketten der Elektronikindustrie.
Erzwungene Überstunden
Arbeiter:innen werden gezwungen Überstunden zu leisten, um überhaupt den Mindestlohn zu erhalten, oder nicht entlassen zu werden.
Zwangspraktika für Studierende
Studierende werden gezwungen „Praktika“ in Firmen zu absolvieren, die oft nichts mit ihrer Ausbildung bzw. Studium zu tun haben. Ohne diese Praktika erhalten sie keinen Abschluss.
Beschränkungen des Kündigungsrechts
Arbeiter:innen werden gehindert eine Firma zu verlassen, indem sich die Vorgesetzten weigern ihre Kündigungen zu bearbeiten, ihnen die Dokumente für eine Kündigung nicht ausgehändigt werden, oder ihnen das letzte Monatsgehalt nicht ausgezahlt wird.
Täuschung über Löhne und Leistungen
Arbeiter:innen werden von Leiharbeitsagenturen angeworben, die Ihnen falsche Versprechungen zu den Löhnen machen und schlechte Arbeitsbedingungen verheimlichen. Ein Ausstieg aus den Verträgen ist danach fast unmöglich.
Schuldknechtschaft
Arbeitnehmer:innen müssen sich verschulden, um illegale oder überhöhte Gebühren an Personalvermittler zu bezahlen. Reisedokumente werden abgenommen um eine Rückzahlung der Schulden zu erpressen.
Beschränkungen der Freizügigkeit
Wanderarbeiter:innen werden gezwungen in ihrer Freizeit in Fabriken oder Wohnheimen zu bleiben, obwohl es keine gesetzlichen Regelungen dafür gibt. Besonders die COVID-19-Pandemie verschärfte diese Situation.
Staatlich verordnete Zwangsarbeit
In China werden ethnische Minderheiten (z.B. Uiguren) zwangsumgesiedelt und gezwungen in Fabriken zu arbeiten, die sie nicht verlassen dürfen.
Migrantische Beschäftigte
Es werden bewusst ausländische Arbeiter:innen beschäftigt, welche sich aufgrund ihres Status als Migrant:innen mit unsicherem Aufenthaltsstatus weniger gegen schlechte Arbeitsbedingungen wehren können.
Täuschung über giftige Chemikalien
Arbeiter:innen werden nicht über die Gefahren der Chemikalien aufgeklärt, mit denen sie hantieren müssen. Sie können sich daher nicht richtig vor ihnen schützen, was zu einer großen Bandbreite an Schäden führen kann, welche mitunter erst verzögert auftreten.
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